Biotop oder lebloser Tümpel? Betrachtungen über mein Umfeld

PICT2431Letzten Freitag habe ich mich mit einer guten Freundin zum Mittagessen getroffen. Wir gehen meist in die Teigwarenfabrik Bern und tauschen über einem Teller Pasta aus, was sich in den letzten Monaten bei uns getan hat. Diese Treffen sind irgendwie immer zu kurz, aber auf eine gute Art – wir lachen, essen, teilen Freud und Leid und verabschieden uns anschließend mit einem Gefühl der Vorfreude aufs nächste Mal.

Ich weiss ziemlich gut, warum ich mich in ihrer Gesellschaft so wohl fühle: Unsere ähnlichen Vorstellungen von Beziehung entspannen ungemein. Wir können den Termin am selben Tag noch absagen, ohne das die andere eingeschnappt ist, weil wir beide das Gefühl kennen, dass einem selbst ein so erfreuliches Treffen zu viel sein kann. Wenn wir ein Mail nicht gleich beantworten, ist niemand beleidigt – dauert es sehr lange, macht sich die andere höchstens Sorgen und fragt nach, ob alles in Ordnung ist. Wir manipulieren einander nicht, benutzen einander nicht und lassen uns gegenseitig Raum.

Jeder braucht solche „Wohlfühlbeziehungen“, um sich entspannen und auftanken zu können, und könnten wir wählen, würden wir uns wünschen, dass all unsere Beziehungen so einfach sind. Im Job, in der Familie, in der Kirche oder beim Ausüben unseres Hobbys treffen wir täglich auf Menschen, die politisch, glaubenstechnisch, ernährungsphilosophisch, musikalisch oder einfach von ihrer Persönlichkeit her nicht ganz auf unserer Linie liegen und uns darum herausfordern. Die einen machen uns ungeduldig, andere nerven mit Schwarzmalerei oder mit ewiger Unzufriedenheit, und manche Menschen drücken gewollt oder ungewollt genau die Knöpfe in uns, die wir lieber nicht drücken lassen.

Ich hasse es zum Beispiel wie die Pest, manipuliert zu werden  und habe wahrscheinlich genau deswegen für solche Ansinnen ein extrem fein eingestelltes  Radargerät. Oder ist es umgekehrt, und fühlen sich die Manipulationsversuche wegen des feinen Radars einfach schlimmer an? Wann immer jemand so etwas probiert, stellen sich bei mir alle Stacheln auf, auch und gerade, wenn es unterschwellig passiert.

Die Krux ist, dass es uns kaum gelingt, Menschen auszuweichen, die uns herausfordern – manchmal scheinen wir sogar genau diejenigen anzuziehen. Aber vielleicht ist es gar keine Krux. Nach längerem Nachdenken über dieses Phänomen bin ich heute ganz froh, dass in meinem Umfeld und sogar in meinem Freundeskreis nicht alle Leute deckungsgleich sind.

Ich habe Freunde und Bekannte, die Gott nicht sonderlich interessant finden oder gar nicht an ihn glauben. Manchen gefällt meine Musik nicht besonders, weil sie andere Stile mögen. Einige sind politisch weiter links, andere weiter rechts angesiedelt. Die meisten haben – wie ich selbst – die eine oder andere nervende Eigenschaft. Trotzdem sind es Freunde, und dass sie anders sind, tut mir gut.

Sie fordern meine Weltsicht heraus. Sie zwingen mich dazu, mich in sie einzufühlen oder etwas anders herüberzubringen, damit wir einander verstehen. Und wenn sie meine Geduld oder meine Nerven strapazieren, kann ich mich in einigen der christlichen Tugenden üben und betrübt feststellen, dass ich an Nächstenliebe und Ausgeglichenheit durchaus noch zunehmen kann.

PICT2588Mein Schwager hat unser persönliches Umfeld kürzlich mit einem kleinen Gewässer verglichen, und mir gefällt dieses Bild. Ein Biotop ist etwas Lebendiges, es ist angewiesen auf die Zufuhr von frischem Wasser. Wenn kein Austausch stattfindet, kippt das Biotop, und bald ist es nur noch ein fauliger Tümpel.

 

Wenn wir uns nur mit Menschen umgeben, die alles so sehen wie wir, wenn weder neue Anregungen, noch Konflikte, noch neue Sichtweisen unser Leben aufmischen, werden wir nicht zum Wachsen herausgefordert. Und wenn ich jedes Mal ausweiche, wenn ich herausgefordert bin, gehe ich vielleicht einer notwendigen Entwicklung aus dem Weg. Die Zufuhr an frischen Ideen und anderen Sichtweisen versickert, bis ich in einem fauligen Gewässer sitze. Das kann nicht gesund sein.

Darum freue ich mich an meinem bunten Umfeld. Ich wachse dadurch, dass meine Ecken und Kanten an anderen geschliffen werden, ohne dass eine amorphe Masse entsteht. Wenn mich etwas an meinem Gegenüber nervt, will ich die Herausforderung annehmen. Wenn mich jemand kritisiert, will ich seine Worte prüfen und es als Gelegenheit sehen zu wachsen.

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Und wenn der Wellengang im Teich mal zu ruppig wird, kann ich mich ja für kurze Zeit in das warme Solebad meiner Wohlfühlbeziehungen zurückziehen und mich etwas aufpäppeln lassen – solange ich daran denke, das Bad zu verlassen, bevor ich schrumpelig an Körper, Geist und Seele bin.

Gehst Du mit mir einig, oder umgibst Du Dich lieber nur mit Menschen, die die Dinge gleich sehen wie Du? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

 

8 Comments

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  1. Hm – schwierig. Biotop ist auf jeden Fall besser – großen Tiergarten brauch ich nicht mehr 😉 ich hab im Alltag soviel mit Menschen zu tun, die mich fordern, dass ich da im privaten Leben inzwischen mehr auf den Wohlfühlbereich achte.

    • Huch, ich war noch gar nicht fertig 😀

      Wobei es ja so ist, dass man im Bekannten- und Freundeskreis ja doch eher Leute um sich hat, wo ein gewisser gemeinsamer Nenner vorhanden ist – und das ausserhalb der Schnittmenge schafft das Biotop 🙂

      • Gute Ergänzung! Ist bei mir schon ähnlich; selbst wenn es grosse Unterschiede gibt (Glauben etc.), sind ja bei allen Gemeinsamkeiten da, die noch schwerer wiegen als unterschiedliche Vorstellung. Was genau es ausmacht, und was wirklich entscheidend ist, wäre ein interessanter Aufhänger für ein weiteres Post 🙂

    • Das hast Du aber gut ausgedrückt :-)! Ich kann mir vorstellen, dass man bei einem Alltag unter vielen Menschen, die auch fordern, dann einfach den Ausgleich braucht! Meine Tagesroutine ist eher eremitenhaft (morgens allein, nachmittags jeweils höchsten 2 Leute, meistens einer oder gar keiner). Dafür dann oft abends (Kirche, ehrenamtliches, Freunde) meist genug los, aber zusammen geht es 🙂

  2. Dein Blog gefällt mir heute aber besonders gut! 🙂 :-):-)
    Kein Wunder, dass wir am gleichen Tag Geburtstag haben. ;-). Dein Abschnitt über das manipuliert werden hat mich total angesprochen sogar hyperaktiv gemacht. Auch mein Radargerät ist fein eingestellt – nur manchmal versagt es kläglich 😉 hi hi ! Meine Haare stehen zu Berge, ich hab Hühnerhaut, ich bekomme eine Wut und reagiere genau so, wie ich im Normalfall nicht reagieren würde. Es geht sogar soweit, dass sich meine Vernunft zwischenzeitlich verabschiedet. Wenn ich manipuliert werde komme ich an meine Grenzen. Da werde ich störrisch und stur.
    Zum Glück habe ich auch Freunde, die mir Wohlgefühl und Freundschaft schenken :-). Darüber bin ich sehr glücklich. (nach längerem Nachdenken weiss ich auch wo die Teigwarenfabrik ist.) 🙂
    Eine schöne restliche Woche wünsch ich Dir
    Siwi

    • Den mit der Teigwarenfabrik habe ich extra als Rätsel dringelassen 🙂 Ich habe mir fast gedacht, dass es bei Dir ähnlich ist mit dem Radar – ich glaube, jeder Mensch hat solche Knöpfe und Gebiete, wo er seine Reaktionen dann nicht mehr so steuern kann. Auf Mundart so schön: „De tuets mer aube eifach“ 🙂 Ich möchte noch lernen, hier anders zu reagieren, mit freundlicher Konfrontation, indem ich das unterschwellig Rübergebrachte einfach ausspreche und sage, dass ich das nicht vertrage. Aber soweit bin ich leider auch noch nicht – kommt hoffentlich noch. Und zum Glück, wie Du sagst, gibt es noch die „Solebad“-Beziehungen 🙂 Auch Dir noch eine schöne Woche!

  3. Liebe Claudia,
    bin definitiv für das Biotop. Wichtig finde ich nur, dass man grunsätzlich die gleichen Wertevorstellungen. Austausch/Diskussion über unterschiedliche Sichtweisen sind wichtig, um sich selbst auch immer wieder zu „überprüfen“. Schließlich ändert man sich im Laufe seines Lebens und formt sein Umfeld gleichermaßen wie man geformt wird.
    Viele Grüße, Kerstin

    • Liebe Kerstin, danke für Dein Feedback! Ich merke, dass es eine Menge unterschiedlicher Ansichten verträgt, solange man sich einig ist, wie man miteinander umgeht, dass man dem anderen seine Meinung lässt und sich respektvoll begegnet – eben mit ähnlichen Wertvorstellungen. Dein letzter Satz gefällt mir sehr – wir verändern uns ständig, formen andere und werden geformt. Darum ist es sicher wichtig, dass wir uns ab und zu auch Gedanken machen, was für Einflüssen wir uns aussetzen wollen.
      Liebe Grüsse, Claudia

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