Muss ich erst leiden, um Gott zu erfahren?

ecard009Momentan lesen wir in unserer Kleingruppe ein Buch, an dem wir uns die Zähne ausbeißen. Der Autor Lawrence Crabb hat unter anderem „Christsein ohne K(r)ampf“ geschrieben; ein Buch, das ich sehr schätze. Unsere aktuelle Lektüre „66 Liebesbriefe“ hat den Anspruch, uns näher an Gottes Liebe heranzuführen. Allerdings scheint dieses Ziel gerade meilenweit entfernt.

Bildquelle: www.life-is-more.at

Die bisherigen Kapitel hatten alle den Tenor: „Du wirst meine Liebe erst spüren, wenn Du am tiefsten Punkt angelangt bist“ und werfen uns in ein Wechselbad der Gefühle und offenen Fragen. Müssen wir erst am Boden liegen, um Gott wirklich zu erfahren? Nimmt Gott uns gezielt alles weg, damit wir ihn erkennen? Muss alle Musik in unserem Leben ersterben, damit wir sein Liebeslied hören können?

Diese Fragen katapultieren mich zurück in eine Wüsten-Phase meines Lebens. Ich hatte damals fast alles – Gesundheit, Freunde, einen gut bezahlten Job und ein schönes Zuhause. Aber meine Beziehung war zerbrochen, und mir wurde schmerzlich bewusst, wie sehr ich mich trotz meines Glaubens an Gott noch immer auf meinen Partner als Zentrum und Sinn meines Lebens ausgerichtet hatte. Die Trennung stoppte die Musik und schien nur Leere zurückzulassen.

Doch obwohl es eine einsame und herausfordernde Zeit war, ist mir bewusst geworden, dass ich mich gern daran erinnere. Die Nähe, die ich in dieser Zeit zu Gott hatte, ist immer noch einer der kostbarsten Schätze meins Lebens: Ich habe jeden Tag zu ihm gebetet und gesungen, mich nach ihm ausgestreckt. Er war der Grund, warum ich morgens aufstand und arbeiten ging. Er war da, wenn ich mich einsam fühlte.

Heute bin ich an einen völlig anderen Ort. Ich bin „sesshaft“ geworden, habe geheiratet, habe meine Berufung und eine tolle Gemeinde an meinem Wohnort gefunden. Ich will das nicht missen. Aber wenn ich an die Nähe zu Gott denke, wird mir klar, dass diese dunkle, wüstenartige Zeit etwas Besonderes war. In der Leere war ich endlich fähig, Gott zu hören und zu erleben.

Kommt Gott also nur nahe zu uns, wenn es uns richtig mies geht? Können wir seine Liebe in guten Zeiten niemals richtig erfahren? Ich glaube das nicht. Wir sind es, die sich in den guten Zeiten anders ausrichten, und ich glaube, darauf weist uns Gott immer wieder hin: sobald wir etwas anderes haben, das uns Freude bereitet, trägt und stärkt, beziehen wir unsere Kraft und Identität von dort, anstatt an die Quelle zu gehen – weil wir zutiefst stolz sind und uns nur auf eigene Errungenschaften verlassen wollen.

Ich bin sicher, dass Gott uns das Schöne und den Segen in unserem Leben nicht vermiesen will. Wir sollen uns daran freuen und es genießen. Aber er will, dass wir unsere Lebensenergie nicht von etwas anderem, sondern von ihm beziehen. Wenn Jesus allein der Eckstein unseres Lebens ist, können wir in der Beziehung zu ihm auch das volle Maß seiner Liebe erfahren – auch in den guten Zeiten. Es ist ein Kampf zwischen unserem stolzen Herzen, das sich auf niemand anderen stützen will, und dem Geist Gottes, der in uns lebt, und wir müssen ihn jeden Tag aufs Neue angehen. Aber es lohnt sich.

Ich bin für die erlebten Tiefen in meinem Leben dankbar, weil sie meine Beziehung zu Gott stärker gemacht haben. Die Erinnerung daran erhöht meine Sehnsucht nach dieser Nähe und hilft mir, mich immer wieder auf ihn auszurichten. In Dankbarkeit für all das Schöne, was er schenkt, und doch im Wissen, dass mein Leben nicht davon abhängt.

Wir singen in der Gemeinde ein Lied, in dem das Jesus-Eckstein Thema kraftvoll und berührend auf den Punkt gebracht wird. Heute höre ich mir dieses Lied an und spüre aufs Neue, dass Jesus mein realer Herr und Freund ist. Und ich weiß, dass er sich darüber freut.

Quelle: Youtube

Wie erlebst Du die „guten und schlechten Zeiten“ und Gottes Nähe darin? Fällt es Dir leicht, die Freuden des Lebens zu genießen? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

 

 

4 Comments

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  1. Liebe Claudia
    Schweres, schweres Thema. Bin mir noch nicht so klar darüber. Eines weiss ich, ob gute oder schlechte Zeiten – ich merke immer später, wenn alles vorbei ist, dass Gott da mitgemischt hat. In der Situation drin, habe ich meistens mit mir viel zu tun. Es ist schon so, dass man Halt sucht in schlechten Zeiten und in guten Zeiten vergisst man manchmal dankbar zu sein. Ich bin zwar ein sehr dankbarer Mensch ;-). trotzdem passiert mir dies auch manchmal.
    Grüessli, siwi

    • Liebe Siwi, Du sagst es richtig; es ist nicht einfach, sich darin sicher zu sein. Sicher bin ich mir, dass Gott uns die schönen Dinge auch schenkt, um uns daran zu freuen 🙂 Warum wir anders erleben, werden wir wohl bis zuletzt nicht genau wissen, aber damit kann ich bisher leben. Wie Du sagst: dankbar sein für das Schöne ist eine wichtige Voraussetzung für ein zufriedenes Leben 🙂
      Liebi Grüess, Claudia

  2. Liebe Claudia
    du sprichst da ein schwieriges aber sehr wichtiges Thema an. Aufgrund meiner Erfahrungen würde ich deine Frage mit ja, aber…. beantworten.
    Ich habe niergens so sehr Gott erlebt wie in den Zeiten des Leidens, des Zerbruchs. Das heisst aber denk ich nicht, dass Gott sich uns nur auf diese Weise zeigt. Ich habe eher den Eindruck, dass wir in diesen Situationen offener sind auf Gott zu hören, uns auf ihn zu fokussieren und so sein Wirken mehr erkennen, als wenn alles rund läuft. Hand aufs Herz, ist es nicht so, dass wir in Zeiten wo es uns gut geht und wir keine Probleme haben, wir Gott schnell aus den Augen verlieren und vergessen, dass wir auch da total von ihm abhängig sind?
    Ich würde das Leiden nie selber wählen und doch rückblickend bin ich sehr dankbar für diese Zeiten in meinem Leben und möchte diese Zeiten nicht missen. Es ist ein Geheimnis.
    Liebi Grüess, Rösli

    • Liebe Rösli,
      Danke für Dein Worte; Du hast es so gut ausgedrückt – genau so habe ich es auch erlebt und bin darum trotz allem für die dürren oder schweren Zeiten dankbar, weil sie meinen Blick geweitet haben :-)! Liebi Grüess, Claudia

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