Plädoyer für eine Währungsreform der (Christen-)Herzen!

Vor über drei Jahren habe ich auf meinem Blog ein Post verfasst, das ich immer noch zu meinem liebsten zähle, und am heutigen Pfingsttag kommt er mir erneut in den Sinn. In diesem Post hatte „Madame de Meuron“ einen Gastauftritt; die Berner Burgerin, die zur Legende wurde, als sie einen Mann fragte, ob er jemand sei oder Lohn beziehe. Im Originalton: „Syt Dir öpper oder nämet Dir Lohn?“

Heute, so reflektierte ich damals, ist es umgekehrt: Nur wer Lohn bezieht, kräftig konsumiert und zum Bruttosozialprodukt beiträgt, „ist jemand“. Das Primat der Nützlichkeit beherrscht die Welt.

Als Christen können wir dem Primat der Nützlichkeit ein besseres, lebensbejahendes System gegenüberstellen, denn Gott als Hersteller des Produkts „Mensch“ hat ein klares Ja zu allen Menschen. Seine Worte aus Psalm 139, wonach wir wunderbar geschaffen sind, gelten dem Flüchtling, der ohne Ausbildung zu uns kommt, dem ungeborenen Leben, ob gesund oder abseits der Norm, und dem geborenen Leben − auch dann, wenn es alt oder krank und für das Bruttosozialprodukt nutzlos geworden ist. Gottes Wertesystem schliesst alle ein – seine Liebe macht uns nicht gleich, aber gleich wertvoll.

Aber leben wir Christen dieses Wertesystem? Ist uns jedes Leben gleich viel wert, und behandeln wir es so, oder geben auch wir dem Drang des Wertens nach?

Der Drang des Wertens und Vergleichens entlarvt unseren unstillbaren Wunsch, besser und „mehr“ zu sein als andere − Stolz, die Sünde, die uns von Gott getrennt hat.

Kann es sein, dass wir diese Sünde so perfekt in unser christliches Wertesystem integriert haben, dass wir sie nicht mehr erkennen? Dass wir deshalb unserem christlichen Auftrag, Gott und die Menschen zu lieben und das Evangelium zu verkündigen, nicht mehr gerecht werden?

Wir sind, meine ich, nicht so schlecht darin, uns um die Schwachen zu kümmern. Diese Aufgabe ist als zentraler Punkt der christlichen Nächstenliebe in unserer Tradition fest verwurzelt. Zwar löst die Migration auch unter uns Christen manchmal Ängste aus, aber die meisten sind sich einig  dass die in der Bibel zitierten Witwen und Waisen heute in der Gestalt von Flüchtlingen unsere Hilfe brauchen.

Wir haben heute andere  „blinde Flecke“ und verhärtete Stellen des Herzens. Sie zeigen sich nicht bei den klassischen „Schwachen“, sondern bei Menschen,  die wir als persönliche Konkurrenz, als Bedrohung unseres Weltbilds oder als Gefahr für die Moral ansehen.

Wie begegnen wir Christen, die ein anderes Glaubensverständnis haben? Überschütten wir sie mit giftigen Tiraden und sprechen ihnen den Glauben ab, oder können wir ihre Sichtweise stehen lassen und zivilisiert diskutieren? Und wie ist es in der Gemeinde? Teilen wir Leben miteinander und helfen einander, die Lasten zu tragen, oder halten wir heimliche Wettbewerbe ab, wer gesalbte und frommer ist, und neiden einander Segen und Erfolg?

Was ist mit den Menschen, die anders leben und an etwas anderes glauben?  Begegnen wir ihnen mit aufrichtiger Liebe und der Überzeugung, dass wir nicht besser sind als sie, oder denkt ein Teil von uns: „Danke Gott, dass ich nicht bin wie dieser?“

Haben wir vielleicht mehr Mitgefühl für die „Schwachen“ als für anders Denkende, anders Glaubende und anders Lebende, weil wir in unserer Sorge um die Schwachen gut dastehen, während die anderen uns in unserem Selbstverständnis bedrohen?

Die Welt braucht eine Währungsreform des Herzens. Wir Christen können Gottes lebensbejahendes Wertesystem weitergeben und damit diese Reform in Gang setzen, indem wir die Währung von Gottes Liebe verkündigen, die uns und alle Menschen freisetzt und jedem Leben einen unveräußerlichen Wert verleiht.

Aber auch wir Christen brauchen diese Währungsreform. Wenn wir unseren Verkündigungsauftrag erfüllen wollen, brauchen wir mehr Mitgefühl, Liebe und Annahme für Menschen, die nicht geografisch, sondern innerlich „von woanders“ kommen; Verständnis für Menschen in Lebenssituationen, in die wir uns nicht so einfach hineindenken können.

Die „Menschen der Welt“ warten nicht auf unsere Absolution oder auf süßliche Beteuerungen, dass wir sie trotz ihrer uns fremden Lebensweise und ihren in unseren Augen verwerflichen Verfehlungen lieben. Sie warten auf authentische Begegnungen, die ihnen zeigen, dass wir sie so annehmen, wie sie sind.

Für diese Annahme müssen wir uns weder „der Welt anpassen“, noch brauchen wir uns selbst oder unseren Glauben zu verleugnen. Was wir brauchen, ist das tief verwurzelte Wertesystem Gottes, die innere Überzeugung, dass kein Mensch mehr wert ist als der andere.

Dafür brauchen wir ein neues Herz und einen neuen Geist. Dies wird uns in der Jahreslosung 2017 verheißen, und Gott schenkt uns beides, weil er genau weiss, dass wir es weder selbst produzieren noch erarbeiten können.

Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.
Ez 36,26

 

Auf Pfingsten liegt die besondere Verheissung der Erfüllung durch den Heiligen Geist. Lasst uns diese Verheissung in Anspruch nehmen und niemals vergessen, dass jeder Mensch wunderbar gemacht ist. Ganz unabhängig davon, was wir vom einzelnen, von seiner Lebensführung, seinem Glauben und seiner Einstellung halten, wird sich an einem niemals etwas ändern:

Den Wert eines jeden Menschen bestimmt der Hersteller.
Und der hat keinen Ausschuss produziert und kein Garantieablaufdatum festgelegt.

5 Comments

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  1. Shalom!
    Ich glaube dass es eine große Herausforderung in unserer Nachfolge Jesu ist sich immer wieder auf das Geschenk Gottes zu verlassen, dass wir sind, weil er uns geschenkt hat. Aus seiner Gnade leben. Sehr leicht kommt es in unserer Gesellschaft und in Gemeinden dazu diese Einsicht durch eigene (gute) Leistung zu verlassen. Ich musste heute an einen Text von Paulus denken, wo es heisst; dass Jesus sich selbst entäusserte (Phil 2, 7). Ich habe jetzt mal die alte Lutherübersetzung genommen, weil für mich dieser Begriff mehr enthält als einfach nur verzichten. Vielleicht auch sich selbst machtlos machen? Richard Rohr beschreibt sehr gut in seinem Buch ‚Zwölf Schritte der Heilung‘ wie die Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit unser geistliches Leben erneuer kann, weil wir uns nicht auf uns selbst verlassen, sondern auf Gott unseren Schöpfer.

    • Danke für Deine spannenden Gedanken! Ich glaube auch, dass das Eingeständnis unserer Machtlosigkeit, das sich willentlich auch machtlos Machen, ein wichtiger Punkt ist. Wir wollen alles unter Kontrolle haben: Unser Leben, unser Umfeld, den Glauben – am liebsten auch Gott, damit er uns gibt, was wir wollen. Und auch im Umgang mit unserem Nächsten wünschen wir uns einfache Rezepte. Einer der wichtigsten Punkte im Beziehung leben (egal mit wem) wird für mich immer mehr das Akzeptieren, dass andere anders sind. Dass nicht jeder wie ich ist. Wenn ich mir nicht die Mühe mache, zu versuchen, mich in den anderen hineinzuversetzen, können Beziehungen meiner Ansicht nach nicht gelingen. Aber sehr oft sehe ich mit Schmerzen, dass es an diesem Willen fehlt…
      Deine Gedanken zur Gnade finde ich auch wichtig – sie erinnern mich an das, was Christof Lenzen, ein Pastor und Autor, der jetzt in Gera im Osten wirkt, zum Theman nimmt. Er befasst sich gerade intensiv damit, was aus der Gnade leben heisst und was nicht. Sehr spannend! 🙂 Liebe Grüsse aus der Schweiz!

  2. Liebe Claudia, manchmal sind die Texte die mit dem Glauben zu tun haben ganz schön . Das ist genau das, was mich an der Kirche stört. Texte die keiner versteht. Die Auslegung kompliziert. Auch deinen Text muss ich noch öfters lesen bis ich es einigermassen verstehe. Es ist eine Herausforderung! 😉 😉
    Vielleicht bin ich auch nur doof! ;-). Ich wünsche dir schöne Pfingsttage ! Ganz liebe Grüsse, siwi

    • Liebe Siwi, ich weiss, was Du meinst, und ich versuche meist, nicht zuviel „Christensprech“ zu verwenden 🙂 Der Pfingsttext war tatsächlich mehr an meine „Mitbrüder und -schwestern“ der frommen Art (zu denen ich mich auch zähle) gerichtet. Mein Eindruck von uns, also diesen stark engagierten Christen, ist, dass wir das Pferd oft am falschen Ende aufzäumen. Wir wollen anders Glaubenden, Denkenden und Lebenden unseren Glauben, unsere Denkart und unseren Lebensstil aufzwingen, wir klagen sie dafür an, Regeln zu missachten, zu denen sie sich nicht verpflichtet haben. Anstatt uns mit ihnen auf Augenhöhe auszutauschen über das Leben, über Gott und die Welt, haben wir ihnen gegenüber nur einen Missionsplan. Das ist der falsche Weg, und so hat es meiner Ansicht nach auch Jesus nicht gemacht. Erst kommt die Annahme, kommt die Einstellung, dass alle Menschen gleich wertvoll sind, kommt das Interesse an meinem Gegenüber als Mensch. Wenn diese Einstellung fehlt, stossen wir die Menschen um uns herum ab und werden sie niemals für Christus und das, was er jedem Menschen schenken will, erwärmen können. So – und schon bin ich wohl wieder etwas in den Jargon abgedriftet 😉 Aber vielleicht helfen meine Worte ja doch, das etwas herauszustreichen! Herzliche Grüsse nach Bern!

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