Etwa zwei Jahre nach meiner Geburt musste sich meine Mutter einer Operation unterziehen, an der sie fast gestorben wäre. Danach musste sie sich sterilisieren lassen; ein Eingriff, der alle Hoffnungen auf die große Familie, die meine Eltern sich wünschten, zunichtemachte.

Es traf die beiden tief. Mein Vater war Sportlehrer in einem Kinderheim, beide waren bei den Pfadfindern als Leiter tätig und hatten gern junge Menschen um sich. Aber sie arrangierten sich mit diesem Schicksal und stellten sich darauf ein, dass ich ihr einziges Kind bleiben würde.

Bettina 40 15Etwa ein Jahr danach suchte meine Mutter den Frauenarzt auf, weil sie fürchtete, dass etwas nicht in Ordnung war. Der Arzt teilte ihr mit, dass da tatsächlich etwas Ungewöhnliches vorlag: sie war trotz des Eingriffs schwanger geworden. Und so kam ich neun Monate später – genau heute vor 40 Jahren – zu einem Schwesterchen.

 

Bettina 40 12Wir sind seit jeher ein seltsames Geschwisterpaar – äußerlich gleichen wir uns gar nicht, sind in Auftreten und Wesen sehr verschieden und haben doch so vieles gemeinsam, das andere Menschen das Band zwischen uns erkennen lässt. Unsere Liebe zu Musik und Gesang, unsere Freude am Lesen, unser manchmal gespaltenes Verhältnis zu Menschenmassen, und nicht zuletzt unseren Glauben.

Geschwisterbeziehungen sind immer etwas Besonderes, aber wenn man zu zweit ist, schweißt das noch stärker zusammen. Man empfindet sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede stärker. Und oft kommt es mir vor, als ob wir genau dort unterschiedlich sind, wo es uns am meisten herausfordert.

Bettina 40 1Gleichzeitig besteht eine tiefe Verbundenheit zwischen uns. Wir freuen uns füreinander, sorgen uns um die Schwester und sind stolz auf Erfolge im Leben der anderen. Letzten Dezember hat Bettina ihre kleine Islandpferdereitschule eröffnet. Es hat mich so berührt, sie in ihrem Element zu sehen, dass ich ein Post über diesen tollen Tag geschrieben habe. Letzten Freitag hat Bettina an meiner Buch-CD-Release mit mir unser Duett gesungen und diesen Anlass damit perfekt gemacht.

Wir lieben uns, aber es ist eine stumme Liebe, wenn man sie an ausgesprochenen Worten und Gesten misst. Wir „Meier-Vogts“ sind ein feinfühliges, aber kein überschwengliches Geschlecht und tun uns schwer damit, einander Wertschätzung mündlich kundzutun. Lieber schreiben wir eine Mail, ein Kärtchen oder ein SMS.

Oder ein Blog-Post.

Bettina 40 14Ich bin dankbar für das Wunder, das mich mit einer Schwester versorgt hat, und ich finde, dass Gott sich etwas ganz Besonderes ausgedacht hat, als er diese bunte, schillernde Blume zu unserer Familie hinzugefügt hat. Vielleicht wäre meine Kindheit ohne „Bettina-Tantrums“ nach verlorenen Monopolyspielen etwas  friedlicher gewesen, aber mit Bettina war sie reicher und farbiger. Wir haben vieles zusammen unternommen, was sonst Freundinnen machen. Ich war Bettinas Trauzeugin und sie war meine. Ich war ihre Firmpatin, und sie war meine Patin bei meiner Tauferneuerung vor neun Jahren.

Nicht zuletzt in dieser Tauferneuerung zeigt sich Bettinas größtes Geschenk an mich: ihr hartnäckiges Werben für Jesus, das mich am Ende überzeugt kapitulieren ließ und das mein Leben verändert hat.

Blessun 7Manchmal wünsche ich mir, wir wären uns ähnlicher, damit wir einander nicht ungewollt vor den Kopf stoßen. Gleichzeitig freue ich mich daran, wie Bettina ist, weil sie eine ganz eigene Kombination der Gaben, Talente und Charakterzüge unserer Eltern in sich vereint. Wie mein Vater erkennt sie, was andere gut können, und schafft es mit ihrer Ausstrahlung und Willensstärke, Menschen für etwas zu begeistern und einzuspannen. Wie meine Mutter vermittelt sie ihren eigenen und anderen Kindern Wertschätzung und Ermutigung. Und in ihrem Gesicht begegnet mir jeden Tag unsere Ma, die vor zehn Jahren viel zu früh gestorben ist.

Bettina 40 10Ich weiß, dass Bettina die 40 nicht so gern in ihrem Leben willkommen heißt, aber ich hoffe, dass sie im Rückblick auf diese 40 Jahre auch ein Gefühl der Zufriedenheit und des Stolzes erlebt: für eine gesunde, wunderbare Familie mit einem tollen Ehemann und vier liebevollen und lebenslustigen Kindern, für ein schönes Zuhause und ihr neues Standbein, das super gestartet ist, und für alles, was das Leben jeden Tag so ausmacht.

Be blessed, Sister!

Friedhofrundgang 1Die warmen Monate zeigen auch im Garten ihre Wirkung, und unser Flieder schickt sich an, voll zu erblühen. Weil die Pracht von kurzer Dauer ist, nutze ich die Gelegenheit: Ich bewaffne mich mit einer Gartenschere, schneide die schönsten Äste heraus und mach mich auf den Weg zum Friedhof, um das Grab meiner Mutter zu schmücken.

 

Ihr Urnengrab liegt am Rand des Friedhofs. Ich stecke meinen Fliederstrauß in einer Vase in die Erde und bleibe eine Weile stehen. Wie immer erinnert mich die Grabinschrift an den Anruf meines Vaters vor bald zehn Jahren, der meine Welt so unwiederbringlich erschüttert hat. Ich halte mein traditionelles, kurzes Zwiegespräch mit Gott, nehme ihm das Versprechen ab, sich um meine Ma zu kümmern. Dann wird es Zeit zu gehen.

Friedhofrundgang 3 links

Auf dem Rückweg komme ich an einem steinernen Brunnen vorbei. Schon vor über dreißig Jahren plätscherte hier Wasser in den Trog, während meine Mutter ihre Gießkanne füllte, um die Blumen auf dem Grab ihrer Eltern zu gießen. Sie hatte mit 25 Jahren ihre zweite Tochter geboren und war mit 27 Vollwaise geworden. Ich verbrachte manchen Nachmittag nach dem Kindergarten mit ihr auf diesem Friedhof, doch erst heute erinnere ich mich an die Stille, die Trauer inmitten blühender Beete und prächtiger Bäume. Ich erinnere mich plötzlich auch an den Grabstein – rötlich, mit einem schrägen Kubus in der oberen Hälfte, wie ein symbolisches Kreuz, darunter in großen Druckbuchstaben die Namen.

Heute erinnert nichts an die Gräber. Moos, Gras und Unkraut machen sich breit, wo vorher Menschen um ihre Angehörigen trauerten. Ich suche die Stelle, wo die beiden lagen, stelle mich auf das weiche Moos und denke ihnen nach – meinen Großeltern und meiner Ma, die ihre Mutter bis zum Tod pflegte und sich danach mit der gleichen Treue um das Grab ihrer Eltern kümmerte.

Friedhofrundgang 2 linksAuf dem Weg zum Ausgang schaue ich  mir die leeren Urnengräber und die grünen Wiesen an. Irgendwo dort könnte ich auch einmal zu liegen kommen. Mir ist egal, wo das sein wird – was von mir an diesem Ort liegen wird, ist nur eine Hülle. Aber während ich mir den Grabstein vorstelle, frage ich mich, was für ein Mensch ich wohl sein werde, wenn ich das Zeitliche segne. Was wird man über mich sagen?  Womit möchte ich in Verbindung gebracht werden, wenn es soweit ist?

Die verschwundenen Gräber meiner Großeltern legen Zeugnis ab, wie schnell die materiellen Spuren unseres Daseins auf dieser Erde verschwinden. Asche zu Asche und Staub zu Staub. Wenn wir etwas hinterlassen wollen, dann muss es von anderer Natur sein.

Das Friedhofstor schließt sich hinter mir. Nach zwei Minuten habe ich die Tür zu unserem Grundstück erreicht. Ich durchquere unseren Garten und steige die Treppe zum Haus empor. Der Friedhof im Hintergrund grüßt mich mit seinen blühenden Bäumen und erinnert mich leise an den Tag, wo auf dem Grabstein mein Name stehen wird. Doch bis dahin habe ich noch einiges vor und – so Gott will – auch noch etwas Zeit dafür.

Ich will etwas hinterlassen, das in den Herzen der Menschen lebendig bleibt, und ich wünsche mir, dass mein Leben Kreise zieht. Aber am Ende ist die Größe des Kreises nicht wichtig. Es soll genügen, wenn ein einziger Mensch durch etwas, das ich gesagt, getan, geschrieben oder gesungen habe, sich selbst, die Welt und Gott mit anderen Augen sieht.

Und ich will nie aufhören, mich zu verändern und dazuzulernen. Deshalb kann ich mir auf meinem Grabstein den Satz vorstellen, den Ruth Graham, Frau von Billy Graham, für ihren Stein von einem Straßenschild übernommen hatte:

Ende der Bauarbeiten – Danke für Ihre Geduld. 

 

Was soll mal auf Deinem Grabstein stehen? Was möchtest Du unbedingt erreichen? Oder findest Du die Vorstellung ultragruselig? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

 

Alte Schätze 2Mein Mann und ich sind keine großen Aufräumer vor dem Herrn – das Gästezimmer unseres Hauses war so lange eine Abstellkammer, bis sich ein Übernachtungsgast ankündigte. Dann war kurz etwas Hektik angesagt, weil wir noch ein Schlafsofa brauchten und den Raum entrümpeln mussten. Im Zuge dieser Aktion warf ich einen Blick in die obersten Einbauschränke und entdeckte ein paar ungeahnte Schätze.

Einer war ein uralter frommer Frauenroman namens „Der Gottesstrauch“, der andere ein Buch über Heilkräuter, wieder ein anderer eine alte Stickvorlage. Sie alle stammten von den Vorbesitzern unseres Hauses – Überbleibsel einer anderen Zeit, die offenbar niemand mehr gewollt hatte und die jetzt uns gehörten.

Als „History Nerd“ hat mich die Vergangenheit schon immer fasziniert. Beim Betrachten dieser alten Schätze wurde mir bewusst, dass ich auch in meiner Vergangenheit und im Leben meiner Vorfahren immer wieder auf etwas Neues und Interessantes stoße. Mein Vater erzählt davon, wie er als Junge mit seinen Geschwistern regelmäßig im nahe gelegenen Wald Fallholz sammelte und Hagebutten erntete. Meine Mutter überlieferte mir die Erinnerung an ihre eigene Mutter, die Zuhause in Heimarbeit Uhrenteile fertigte.

Alte Schätze 1 linksPhilipp Anton von Segesser, ein Schweizer Politiker des 19. Jahrhunderts und Spross einer verarmten Adelsfamilie, wusste über seine Vorfahren so ziemlich alles. In seiner Autobiografie schwelgt er in Erinnerungen an die Ferien, die er als Junge auf dem alten Landsitz der Familie verbrachte. Dabei beschreibt er, wie er durch den „großen Saal“ schritt und sich wieder und wieder die Bilder seiner Ahnen ansah, vor denen er große Achtung hatte. „Ich kannte alle, wusste die Geschichte aller und freute mich, dass keiner ein Volksbedrücker gewesen, dass alle ehrenhaft durch das Leben gegangen, dem Vaterland mit Ehre gedient und ihre Namen untadelhaft erhalten hatten.“

Sein Blick auf seine Vorfahren dürfte nicht völlig objektiv gewesen sein – schließlich hat jeder Mensch auch seine Schwächen. Aber aus seinen Worten spricht eine tiefe Verbundenheit und ein Bewusstsein für die eigenen Wurzeln, auch ein Stolz auf die edlen Charakterzüge, die seine Vorfahren über Jahrhunderte unter Beweis gestellt haben.

Beschämenderweise muss ich gestehen, dass ich schon über die Generation meiner Großeltern erschreckend wenig weiß, ganz zu schweigen von allen, die davor gelebt haben. Doch von Segessers Worte haben meine Neugierde geweckt. Aus was für einer Linie von Menschen stamme ich? Gab es darunter Missionare oder Menschenfresser, Wohltäter oder Übeltäter? Und wieviel davon trage ich weiter?

Alte Schätze 6Wenn ich an meine Großmutter väterlicherseits denke, fällt mir ihre unerschrockene kleine Gestalt ein und das legendäre Zitat „Tue recht und scheue niemand“, das mein Vater auch gern zum Besten gibt und das sie oft verwendete. Obwohl „recht tun“ ein schwieriger Begriff ist und ich mir bewusst bin, dass ich jeden Tag Fehler mache, ist diese Lebenshaltung doch von ihr auf meinen Vater und auf mich übergegangen. Denke ich an den Clan meines Vaters, berührt mich der starke Zusammenhalt unter den Geschwistern. Und ich freue mich an den in verschiedenen Formen hervorblitzenden Humor und der interessanten Tatsache, dass mein Vater und seine Brüder allesamt charakterstarke, humorvolle und eigenständige Frauen geheiratet haben, die sich nichts vormachen lassen.

Über die Familie meiner Mutter weiß ich weniger, auch weil sie nicht mehr lebt und mir ihre Erinnerungen nicht mehr weitergeben kann. Dafür denke ich gern an die gemeinsame Leidenschaft meiner Eltern für die Jugend und ihren Einsatz für die sozial Schwächeren. Und ich erinnere mich an Mutters heitere Genügsamkeit, ihre Liebe zu spannenden, humorvollen Geschichten und ihren klaren Blick hinter die Fassade der Menschen.

Wie es bei von Segessers Ahnen den einen oder anderen Tintenfleck im Reinheft gab, hat sicher jede Familie auch ihre dunkleren Seiten. Wir alle kennen Charakterschwächen, alte Wunden und verhärtete Einstellungen, die über unsere Familienbande manchmal Eingang in unsere Herzen finden. Es ist befreiend, wenn ich mir klarmache, dass ich die Wahl habe, was ich weitertragen und weitergeben will und was nicht. Natürlich ist es mit der Wahl, etwas loslassen zu wollen, nicht getan, aber ohne die bewusste Entscheidung, ein bestimmtes Muster loslassen zu wollen, wir ganz bestimmt nichts passieren.

Im Guten wie im weniger Guten empfinde ich das Bewusstsein für die Vergangenheit als etwas Erdendes, das mich im Leben verankert. Es erinnert mich daran, dass alles eine Geschichte hat und dass ich mich selbst und andere nur verstehen kann, wenn ich einen Blick hinter die Kulissen und in die Vergangenheit werfe.

Alte Schätze 4

Alte Schätze 5 linksIm Schrank meines Gästezimmers habe ich auch eine über hundertjährige Bibel entdeckt. Sie enthält einen handschriftlichen Eintrag und ein altes Lesezeichen. Diese Fundstücke sprechen von der Zuversicht, dass Gott meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in seinen Händen hält und mir beisteht, wenn ich ins Trudeln gerate oder nicht weiß, wie es weitergehen soll.

Was weißt Du über Deine „Ahnen“ – gehst Du Dir auf dem Familiensitz die Ölgemälde anschauen, oder beruht Dein Wissen auch eher auf den Überlieferungen Deiner Familie? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Weihnachten 1Heiligabend bedeutet in unseren Breitengraden  Gedränge im Supermarkt, die Jagd nach der letzten Barbiepuppe und ein paar Festmenus  zu viel. In der grauen Vorzeit meiner Kindheit gehörten zu Heiligabend Nachmittagssport, eine verschlossene Tür und eine wunderbare Geschichte.

 

Am 24. Dezember zogen wir uns nach dem Mittagessen warm an, schulterten die Schlittschuhe und marschierten mit unserem Pa Richtung Bahnhof. Dort stiegen wir in den Regionalzug, fuhren bis „Biel Mett“ und wanderten durch frostige Kleingärten zur Bieler Eisbahn, wo wir den Nachmittag mit fröhlichen Jagden bei eisigen Temperaturen, heißer Schokolade und einer heißen Suppe mit Würstchen verbrachten.

Unsere Abwesenheit diente neben dem Spaß an der Freude einen bestimmten Zweck: Unsere Ma hatte die Wohnung für sich und konnte in Ruhe alles für das Fest vorbereiten. Wenn wir rotwangig und kaltnasig von der Schlittschuhbahn zurückkamen, lag eine erwartungsvolle Stille über unserem Daheim. Von der geschlossenen Wohnzimmertür ging ein geheimnisvoller Zauber aus.

Wenn die Tür aufging, brannten die Kerzen am Tannenbaum, die Kugeln blitzten, goldenes Lametta glitzerte zwischen farbigen Schokotannzapfen, und die Kerzen warfen ein warmes Licht ins Wohnzimmer.

Doch das war noch nicht der Moment, in dem es Weihnacht wurde. Es wurde auch nicht Weihnacht, wenn wir das erste Geschenk öffnen oder den ersten Schokozapfen vom Baum reissen durften. Weihnacht wurde es, wenn  wir uns alle aufs Sofa setzten und unser Pa begann, Tazewells Geschichte vom „Kleinsten Engel und dem Weihnachtsstern“ vorzulesen.

Weihnachten 2Dieser „kleinste Engel“ ist ein Junge, der vor seiner Zeit zum Engel wurde und sich in den himmlischen Gefilden einfach nicht zurechtfindet. Er kann nichts anfangen mit Harfe spielen, verliert ständig seinen Heiligenschein und bringt viel Unruhe in die heiligen Hallen. Irgendwann stellt sich heraus, dass der kleine Engel einfach Heimweh hat: er vermisst seine Freunde, das Spielen am Bach und all das, was das Leben eines kleinen Jungen ausmacht.

Die Lösung ist rasch gefunden: die Engel bringen dem Jungen die Schachtel, in der er alle Schätze seines kurzen Lebens aufbewahrt hatte, und endlich fühlt sich der kleinste Engel im Paradies zuhause.

Eines Tages erfahren die Engel, dass der Sohn Gottes in Bethlehem geboren werden soll. Der ganze Himmel ist in Aufruhr, während alle fieberhaft überlegen, was sie dem Gotteskind schenken könnten. Der kleinste Engel ist weder musikalisch noch schriftstellerisch oder handwerklich begabt, aber er hat eine wunderbare Idee: er wird dem Gotteskind all die Schätze schenken, die ihm als Kind so viel Freude bereiteten.

Doch als er seine Schachtel zwischen all den prächtigen Geschenken sieht, wird ihm mulmig zumute. Sieht sein Geschenk nicht unsagbar schäbig aus? Was hat er sich nur dabei gedacht? Er muss die Schachtel schleunigst entfernen! Doch es ist zu spät – die Hand Gottes schwebt über den Geschenken, hält inne und senkt sich auf die Schachtel. Sie wird geöffnet, und alle sehen, was er dem Jesuskind schenken wollte.

Einen Schmetterling, den er in den Bergen gefangen hat.
Ein himmelblaues Ei aus einem Vogelnest.
Zwei weisse Steine vom Flussufer, an dem er mit seinen Freunden gespielt hat.
Das zerbissene Halsband seines Hundes.

Der kleine Engel schämt sich in Grund und Boden. Er läuft davon, stolpert, fällt und landet als Häufchen Elend vor dem Thron Gottes. Doch noch während er weint, fängt Gott an zu sprechen.

Er teilt den Himmelsbewohnern mit, dass ihm diese Schachtel von allen Geschenken am besten gefällt, weil sie Dinge der Erde und der Menschen enthält. Denn auch Sein Sohn wird all dies kennen, lieben und trauernd zurücklassen, wenn Seine Aufgabe auf Erden vollendet ist.

Plötzlich erstrahlt die Schachtel in gleißendem Licht und wird zu einem strahlenden Stern. Der Stern fliegt davon und kommt schließlich zum Stillstand – an dem Ort, wo der Sohn Gottes geboren wird. Und so kennt man ihn heute als „Leitstern von Bethlehem.“

Bei uns zuhause haben alle nahe am Wasser gebaut, und wenn mein Vater fertig gelesen hatte, war kein Auge mehr trocken. Und noch heute berührt mich die Geschichte.

Ich kann mich gut mit dem kleinen Engel identifizieren, der seine schäbige Schachtel inmitten der prächtigen Geschenke sieht und sich entsetzt fragt, wie er dieses Ding nur so wundervoll hat finden können – wie er hat glauben können, dass der Gottessohn diese nutzlosen Dinge lieben würde.

Egal, ob gegenüber Gott oder Menschen – ich denke viel zu oft, dass das, was ich zu geben habe, nicht genügt. Heute will ich mich daran erinnern, dass mein Herz, meine Gaben und das, was ich zu bieten habe, nur ich geben kann. Es mag nicht das Beste sein und in keiner Kategorie den Publikumspreis gewinnen – aber es ist einmalig und einzigartig. Und ich will immer wieder den Mut haben, es hinzulegen – egal, was für glitzernde Päckchen daneben liegen.

Weihnachten 3

Ich will mich heute aber auch an das Geschenk erinnern, das ich an Weihnachten erhalten habe (eine Warnung – wir verlassen damit glaubenstechnisch die neutrale Zone. Aber schließlich ist heute Weihnachten). Es ist dieses geheimnisvolle, völlig unlogische und unglaubliche Ereignis, das wir heute feiern – so schwierig es auch nachzuvollziehen ist.

Gott wurde Mensch.
Er wurde erfahrbar, erlebbar und berührbar.

Er hat es für uns getan und hat damit Seinen Erlösungsplan für die ganze Schöpfung eingeleitet; eine Erlösung, die diese Welt und jeder von uns – ob wir es nun wahrhaben wollen oder nicht – so dringend braucht. Aber wenn ich an die Geschichte vom „Kleinsten Engel“ denke, bin ich sicher, dass Gott es auch für Sich selbst getan hat.

Ich glaube, dass Gott Sich danach gesehnt hat, als einer von uns unter uns Menschen zu leben. Er wollte lachen und weinen, sich freuen und leiden und so am eigenen Leib erfahren, was es heißt, Mensch zu sein.

Sonne auf der Haut.
Ein Bad im frischen Bach.
Sich ein Knie aufschlagen und getröstet werden.
Mit Freunden lachen und streiten.

Mein Gott kennt jede Freude, jeden Schmerz und jede Versuchung, die ich durchlebe. Und darum darf ich in all meinen Kämpfen, Freuden und Leiden wissen, dass Gott ganz genau weiß, was ich gerade erlebe – weil er es am eigenen Leib erfahren hat.

Wenn ich heute mit meinem Vater, meinem Mann, meiner Schwester und ihrer Familie unter dem Weihnachtsbaum sitze, feiere ich die Ankunft meines Gottes in dieser Welt. Ich feiere ein Geschenk und ein Opfer, und ich feiere Seine Freude, endlich unter Seinen Menschen leben zu können – und in ihnen, wenn sie Sein Angebot annehmen.

Ich wünsche Euch allen besinnliche Tage, Stunden der Gemeinschaft und ein gesegnetes Fest.

Merry Christmas!

blessun 5Vor dreissig Jahren haben meine Schwester Bettina und ich mit dem Reiten angefangen: nach dem Lesen unzähliger Ponybücher und vielen Stunden vor dem Fernseher mit den „Mädels vom Immenhof“ haben wir unsere Eltern so lange bestürmt, bis sie kapitulierten und uns erlaubten, im nahe gelegenen Reitstall Stunden zu nehmen.

 

Ich liebte Pferde und war mit zwölf Jahren im typischen Pferdealter. Ein paar Jahre lang war ich mit Feuer und Flamme dabei, aber mein Respekt vor diesen Tieren war immer etwas grösser als meine Leidenschaft. So flachte meine Begeisterung fürs Reiten mit der Zeit ab und wurde vom nächsten Hobby ersetzt.

Blessun 7Anders Bettina. Sie schien sich nie zu fürchten, besass eine natürliche Autorität und schon immer einen starken Drang, sich durchzusetzen. Im Umgang mit den Pferden blühte sie auf, und bald begeisterte sie sich für Islandpferde. Sie verbrachte fast ein Jahr in Island und arbeitete auf verschiedenen Gestüten, um alles über ihre geliebten Tiere zu lernen.

Einer dieser Jobs führte sie ins aargauische Kaisten, wo sie den Mann ihres Lebens kennenlernte. Mit 24 Jahren heiratete sie ihn und gründete eine Familie von achtbarem Format: sie hat in den letzten fünfzehn Jahren vier Kinder geboren. Inzwischen ist mein Patensohn fünfzehn und der jüngste viereinhalb Jahre alt.

Meine unternehmungslustige Schwester hatte  auch in dieser intensiven Familienzeit viele Interessen und Engagements – trotzdem rückten die Pferde und der Reitsport notgedrungen etwas in den Hintergrund. Erst war es eine logische Folge der Anforderungen, welche die Familie stellte, doch mit den Jahren schien es, als wäre ihre Leidenschaft für die Pferde verschüttet oder als hätten andere Interessen ihren Platz eingenommen.

blessun 6In den  letzten zwei Jahren wurde das Thema Pferde wieder aktueller. Bettinas Tochter Ailish begann mit dem Reiten, und so tauchten öfters Facebook-Bilder der beiden hoch zu Ross auf. Diesen Sommer hatte Bettina dann eine zündende Idee. Und  ganz im Stil ihres Temperaments entwickelte sich diese Idee in einem halben Jahr zu einem handfesten, inspirierenden Projekt.

Blessun 3Letzten Sonntag lud Bettina mit einem Benefizanlass zur Eröffnung ihrer kleinen Islandpferdereitschule „Blessun“ nach Olsberg. Mann und Kinder standen hinter der Theke und schenkten fleissig Kürbissuppe und selbst gemachte, köstliche Heissgetränke aus  – ein tolles Bild.

 

 

Doch am meisten hat es mich berührt, Bettina im Element zu erleben – begeistert von ihrem Projekt und ganz an dem Ort, wo sie sein will. Es hat mich ermutigt und mir einmal mehr bewusst gemacht, dass sich uns  immer wieder Chancen eröffnen – eine Botschaft, die wir alle irgendwann brauchen können.

Wenn Jahre vergehen, in denen wir notgedrungen oder willentlich einen Traum aufgeben und uns anders orientieren, fangen wir an zu glauben, dass unsere alten Leidenschaften eines natürlichen Todes gestorben sind. Oder wir fürchten, dass unsere Träume so lange verschüttet waren, dass wir sie unmöglich wieder zum Leben erwecken können. Manchmal fällt es uns auch einfach schwer, Ideen oder Projekte langsam wachsen zu lassen, und am schwersten ist es,  darauf zu vertrauen, dass etwas wächst, wenn wir noch nichts davon sehen können.

Solche Wartezeiten stellen unsere Geduld auf die Probe. Wir wollen etwas erreichen, wollen zeigen, was wir können, wollen uns beweisen. Unsere Hochleistungs- und Hochgeschwindigkeitsgesellschaft lässt uns nicht viel Zeit, um Erfolg aufzubauen. Die heutigen Stars und Sieger werden immer jünger, die Zeit des Ruhms ist immer kürzer, und wir fühlen uns schon am Start unter Druck. Wenn wir mit dreissig noch keine glanzvollen Resultate präsentieren können, fühlen wir uns als Versager.

Dabei vergessen wir, dass wir für manche Erfolge oder Projekte mehr brauchen als praktische Erfahrungen, technisches Knowhow oder erlernbares Wissen. Wir müssen unseren Charakter entwickeln, bestimmte Lebenserfahrungen machen, an Reife gewinnen.

Blessun 10Bettina hat vielleicht schon früher von einem Projekt dieser Art geträumt. Stattdessen hat sie in den vergangenen  15 Jahren einen der wichtigsten Jobs auf diesem Planeten gemacht. Sie hat ihre Kinder grossgezogen und dabei eine ganze Menge gelernt und in ihr Leben integriert: Menschenkenntnis, Managementtalente, Geduld (auch wenn sie von letzterem sicher gern noch mehr hätte).

Vieles kann sie nun in ihr Kleinunternehmen einbringen. Ausserdem ist sie seit über zehn Jahren flammende Christin und hat dadurch gelernt, auf Gott zu vertrauen, ohne dabei die Verantwortung für das eigene Leben abzugeben.

Ich vertraue darauf, dass ich auf meiner Suche nach meinem Platz und meiner Berufung nicht allein bin, und ich will die nötige Geduld aufbringen – im Wissen, dass der Weg dahin auch dazu gehört. Und überzeugt, dass Gott das beste Timing hat und genau weiss, wann wir reif für unsere Erfolge sind.

Blessun 1

Hast Du auch alte Träume, die Dich immer mal wieder beschäftigen? Oder bist Du gerade auf dem Weg, sie zu verwirklichen? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Minimalismus klein rechtsSeit ich meine Liebe fürs Schreiben entdeckt habe, wage ich mehr und  träume unverschämter. Gleichzeitig  strebe ich danach, ein Minimalist zu werden.
Das klingt nur scheinbar paradox. Heute wenden viele Menschen das Prinzip an, um in allen Aspekten des Lebens Unnötiges zu entsorgen und nur das Wichtige zu behalten – ganz nach dem knackigen Motto „Reduce to the max“.

Obwohl ich nie ein „Ich muss alles haben, und zwar sofort“-Typ war, bin ich mir in den letzten Jahren bewusst geworden, wie befreiend dieses Reduktionsprinzip ist. Unter anderem hat sich dadurch meine Einstellung zu einem Thema verändert, das für viele Frauen eine psychologisch-finanzielle Knacknuss darstellt und bei dem Gedanken wie „genug haben“ oder „sich beschränken“ eher Frust auslösen. Wer errät, worum es geht, gewinnt einen Gutschein für das Kleidergeschäft seiner Wahl.

Ich war nie eine exzessive Shopperin (vielleicht ein bisschen, wenn es um Schuhe geht), aber ich mag gut geschnittene Kleidung und kaufte oft im höheren Preissegment ein, ohne mir allzu viele Gedanken zu machen. Dann hatte ich vor knapp zwei Jahren eine  geniale, inspirierende Idee und begann intensiv mit dem Schreiben. Mein Projekt nahm schnell Formen an, und ich musste mir die Frage stellen, wer das alles bezahlen sollte – oder besser wie mein Mann und ich das im Budget unterbringen könnten. Neben verschiedenen anderen Massnahmen beschloss ich Anfang dieses Jahres, den grösseren Teil meines Kleiderbudgets in mein Projekt zu investieren – ein unfehlbareres Zeichen echter Hingabe, wie ich meine.

Diese Entscheidung wirkte sich rascher aus, als ich erwartet hätte. Innert Kürze kaufte ich überlegter ein und fragte mich plötzlich, ob ich dieses Teil wirklich brauchte und ob der Preis gerechtfertigt war. Da ich lieber einmal umfangreich einkaufe als jeden Monat ein T-Shirt shoppe, war der Betrag trotzdem nach ein paar Monaten aufgebraucht.  Das war der Moment, in dem ich zu einer überraschenden und revolutionären Offenbarung gelangte.

Ich muss keine Kleider kaufen – tatsächlich habe ich genug anzuziehen, um das Haus jeden Tag in ansprechender Aufmachung zu verlassen.

Natürlich gibt es ein paar Basics, die ich mir mal leisten möchte. Ich freue mich auch wieder auf das Schaufensterflanieren und darauf, mich von neuen Saisonschnäppchen inspirieren zu lassen. Aber die positiven Aspekte dieser selbstauferlegten Ausgabenbremse überwiegen deutlich:  Ich mache mir viel weniger Gedanken über meine Garderobe, und vor allem geniesse ich das befreiende Gefühl, nicht immer mehr haben zu müssen.

Dafür wird mir stärker bewusst, wie dreist wir rund um die Uhr mit unschlagbaren Angeboten bombardiert werden, die uns einen Kick geben, unser Leben besser oder uns unwiderstehlich machen sollen. Und wer hätte das gedacht- das Meiste davon braucht kein Mensch.

Aber wir kaufen es trotzdem –  sei es, um unsere Langeweile zu betäuben, sei es, um unseren Lebensstandard zu zelebrieren, oder einfach, weil es ein neues und verbessertes  „XY“ gibt und ich das einfach unbedingt haben muss. Sofort. Und vor allem vor dem Nachbarn oder Arbeitskollegen.

Ich bin dankbar, dass ich in diesem Punkt ein glückliches Erbe habe – meine Eltern haben nie Wert darauf gelegt, ein bestimmtes Bild abzugeben oder mit irgendwem mithalten zu können. Wir hatten kein Auto, fuhren nicht ans Meer, und wir Kinder verdienten uns das Geld für besondere Wünsche, indem wir in den Schulferien arbeiteten. Vor allem aber lernten wir, dass man sich mit niemandem vergleichen muss und keine bestimmten Dinge braucht, um „jemand“ zu sein.

Ich will diese befreiende Haltung in alle Bereiche meines Lebens einfliessen lassen und es nicht nur im Hinblick auf materielle Dinge entrümpeln. Wie viel Zeit verbringe ich vor der Flimmerkiste (zu viel) oder im Netz (zu viel)? Draussen an der frischen Luft (zu wenig)? Wofür setze ich meine Freizeit ein? Ich will prüfen und das Gute behalten – und danach handeln. Denn das nimmt mir keiner ab.

Gott ist Zentrum und Regisseur meines  Lebens – Er wird mich auch auf falsch gesetzte  Prioritäten hinweisen. Aber die Entscheidungen treffen und umsetzen muss ich selbst.

Seit ich weiss, was ich noch alles erreichen will, sind mir diese Fragen wichtiger geworden. Nur, wenn ich meine Energie konzentriere, kluge Entscheidungen treffe und auch mal nein sage, werde ich schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Und die begrenzte Zeit auf dieser Erde will ich für genau das einsetzen, was wirklich zählt: Gott, Familie, Freunde, Gemeinde, Herzensprojekte.

Dass ich Prioritäten setze und mich in bestimmten Bereichen beschränke, bedeutet auch nicht, dass ich mich an dem, was ich mir noch zugestehe, festklammere. Wenn ich daran glaube, dass ich versorgt bin, werde ich grosszügiger und freier im Geben. Und was wir gern und bereitwillig geben, kommt hundertfach zu uns zurück.

Was hältst Du von Minimalismus im besten Sinn? Hast Du auch Bereiche, die Du entrümpeln willst? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Heute vor genau dreissig Jahren sass unsere Familie in der Küche beim Sonntagsfrühstück, als wir ein fernes Knattern hörten. Durchs Küchenfenster sahen wir einen Helikopter, der Richtung Grenchenberg flog. Das löste am Tisch einige Spekulationen aus, war aber bald darauf wieder vergessen – bis mein Vater etwa zwei Stunden später einen Anruf erhielt und man ihn um einen Kommentar zum Tod von Bundesrat Willi Ritschard bat.

Ritschard 2

Willi Ritschard war für unsere Familie nicht nur einer von sieben Bundesräten. Mein Vater sass damals seit zwei Jahren als Solothurner „Genosse“ im Kantonsrat uns schätzte den bodenständigen Ritschard sehr. Noch heute erinnert er sich an eine persönliche Begegnung, die für den einmaligen Schalk des Solothurners typisch war: Auf einem Fraktionsausflug der SP war mein Vater dem hohen Bundesrat vorgestellt worden. Der hatte einen Blick auf meines Vaters Glatze geworfen, seine Hand darauf gelegt und gemeint: „Mir zwöi chöi au nume no d Finanze frisiere!“ (Wir zwei können auch nur noch die Finanzen frisieren!)

Bei einer kleinen Recherche für dieses Post habe ich viel Liebenswertes und Berührendes über Ritschard entdeckt. Aus allen Quellen spricht die geerdete Persönlichkeit, aber auch die emotionale, tiefgründige Ader dieses Mannes. Ohne unsere heutigen Bundesräte abwerten zu wollen, frage ich mich, ob Persönlichkeiten seiner Art heute in der Politik überhaupt noch Platz hätten. Ich gedenke mit Achtung unseres fünften Solothurners im Bundesrat – seine Einfachheit, sein Humor und seine Nahbarkeit öffneten ihm in kürzester Zeit die Herzen aller Schweizer, und an diesem Tag vor 30 Jahren hat das ganze Land um ihn getrauert.

Vor neun Jahren wurde der 16. Oktober für meine Familie zum Sinnbild für einen viel grösseren Verlust. Am 16. Oktober 2004 musste mir mein Vater telefonisch mitteilen, dass meine Mutter – sie war 55 Jahre alt – in der Nacht an einer Hirnblutung gestorben war.

Ma und igIch hatte mir vorher schon oft die Frage gestellt, wie ich mit einem solchen Schicksalsschlag umgehen würde. Heute weiss ich, dass man es überlebt, aber auch, dass die Trauer Teil des Lebens bleibt – und dass sie sich im Lauf der Jahre verändert. Der Schmerz des Verlusts ist geblieben, aber er wurde angereichert mit einem kostbaren Korb voller Erinnerungen an die Frau, die mir das Leben geschenkt und mich geprägt hat.

Meine Mutter war keine Frau der Öffentlichkeit. Sie hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, und bei Veranstaltungen sass sie am liebsten in der letzten Reihe am Rand. Sie arbeitete gern im Hintergrund und hatte grossen Anteil am politischen und kulturellen Engagement meines Vaters, indem sie ihm Zuhause während der Woche den Rücken frei hielt und seine Arbeit mit ihren herausragenden organisatorischen und administrativen Fähigkeiten unterstützte. Ein Erbe dieser gemeinsamen Arbeit ist der „Ferienpass Grenchen“, den sie zusammen aufgebaut und während vieler Jahre ehrenamtlich geführt haben. Noch heute erinnere ich mich an tolle Anlässe wie die Besichtigung des „Nidlelochs“, Schachkurse, Waldnachmittage und vieles mehr, was uns als Kinder begeistert hat.

Ma war auch eine wunderbare Köchin und Gastgeberin. Seit ich selber einen Haushalt habe und manchmal Gäste einlade, weiss ich, dass zum guten Gastgeber viel mehr gehört als ein feines Essen und genug Wein. Ma brachte es fertig, dass sich alle wohl fühlten, sich entspannten und die Zeit genossen. Das kann man nicht „machen“ – es fliesst aus einer Persönlichkeit, die sich wirklich um das Wohl jedes einzelnen sorgt und kümmert und darin aufgeht.

Bei einer oberflächlichen Lese dieser Zeilen könnte man meine Ma für eine sehr traditionelle Frau halten – nichts gegen Traditionen, aber dieses Etikett würde ihr nicht gerecht. Ich habe selbst erst im Nachhinein erkannt, wie sie wirklich war– eine stille Rebellin mit einer starken kreativen Ader, einem schrägen Sinn für Humor und unabhängigen Ansichten. Sie gab nichts auf Status und Konvention, mochte skurrile Geschichten und Menschen, die etwas anders waren. Am Apéro nach der Trauerfeier kam eine ihrer Arbeitskolleginnen auf mich zu und meinte mit einem strahlenden Lächeln: „Gerade haben wir uns daran erinnert, wie oft Monika mit ihrem schallenden, ungekünstelten Lachen eine ganze Tischgemeinschaft angesteckt hat – bis allen die Tränen herunterliefen und keiner mehr gerade auf dem Stuhl sitzen konnte.“ Ihre Augen waren auch nicht tränenlos, aber sie spiegelten die Ausgelassenheit und Freude, die Ma mit ihrer Art verbreiten konnte.

Daneben hatte meine Ma eine erbarmungslose Seite. Sie hasste Arroganz, Geltungsdrang, Unaufrichtigkeit und Verstellung, und sie hatte einen guten Sensor dafür. Wenn jemand auf ihrem Radar aufgetaucht und für „schuldig“ befunden worden war, blieb sie in der Regel bei ihrem Urteil – und scherte sich dabei nicht um Namen oder Position.

Ich komme in vielerlei Hinsicht und vor allem äusserlich eher nach meinem Vater, aber heute erkenne ich in vielen meiner Eigenheiten auch das Erbe meiner Ma. Ich freue mich daran und will dieses Erbe weitertragen. Und es schmerzt mich, dass ich mit ihr nicht mehr darüber sprechen kann, wie ähnlich wir uns sind und wie stolz ich auf das bin, was sie aus ihrem Leben gemacht hat.

Ma hat kein hohes Amt gehabt oder Karriere gemacht. Sie musste ihre Eltern überreden, damit sie eine kaufmännische Lehre absolvieren durfte. Im Gedächtnis der breiten Öffentlichkeit hat sie keine Abdrücke hinterlassen – wohl aber in den Herzen der Menschen, die sie kannten und liebten. Denn sie hat in ihrem Leben mit das Wichtigste getan: sie hat anderen Wertschätzung geschenkt. Und sie war die erste, die mir vermittelt hat, dass ich einzigartig und geliebt bin – genauso, wie ich bin. Damit hat sie ein Fundament gelegt, das auch Bestand hatte, als ich selbst das Liebenswerte in mir nicht sehen konnte.

In der Geschichte von Harry Potter gibt seine Mutter ihr Leben, um Harry zu beschützen. Dadurch erhält er eine Art Siegel, so dass das Böse ihm keinen Schaden zufügen kann. Ich glaube, dass diese einzigartige Liebe einer Mutter immer so ein Siegel hinterlässt – einen unsichtbaren Abdruck in unseren Herzen, ein Echo der bedingungslosen Liebe, mit der Gott uns zuerst geliebt hat.

Ich respektiere und ehre, was Mütter vollbringen, indem sie ihre Kinder erziehen, ihnen Werte mitgeben und ihnen diese Liebe schenken. Und ich will nicht vergessen, dass auch hinter einem grossen Mann wie Willi Ritschard eine Mutter stand, die ihn mit ihrer Fürsorge, Zuwendung und Liebe für seinen Weg ausgerüstet hat. Um es mit den etwas altertümlichen, aber immer noch wahren und schönen Worten von Jeremias Gotthelf zu sagen:

 „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“

Hibiskus klein nach links

In achtender und liebender Erinnerung für

 Willi Ritschard (28.9.1918-16.10.1983)
 Monika Meier (-Vogt) (17.6.1949-16.10.2004)

Vor etwas mehr als zwei Wochen habe ich zusammen mit meinem Mann und meinem Vater an einem Samstag meine drei Neffen und meine Nichte beaufsichtigt – Einzelheiten können im „Ritigampfi-Post“ nachgelesen werden. An diesem Abend drückte mir meine Schwester kurz vor der Rückfahrt ein hübsches hellblaues Buch in die Hand und meinte: „Falls Du überhaupt noch von Hand schreibst und nicht nur virtuell…!“

Bild ErmutigungIch nahm das Geschenk erfreut entgegen und verstaute es in meinem Rucksack, und wir machten uns auf den Heimweg. Am nächsten Tag holte ich das Buch hervor, um es mir etwas genauer anzusehen – und stellte fest, dass es weit mehr war als ein Tagebuch. In Händen hielt ich ein wundervoll gestaltetes Hilfsmittel fürs Songwriting.

Auf der ersten Seite waren ein Quintenzirkel und ein Transkriptionsschlüssel abgebildet, un auf jeder Doppelseite ein Psalm, dazu abwechselnd eines von fünf hebräischen Worten für Lobpreis (für Worshipper und Interessierte: Tehillah, Barak, Zamar, Yadah, Hallal – aber davon vielleicht ein anderes Mal).

Bild Ermutigung 2

Dieses Geschenk hat mich unglaublich berührt. Ohne Worte hat mich meine Schwester spüren lassen, dass sie an mich glaubt, an meinen Plänen und Träumen Anteil nimmt und mich unterstützt.

Ich habe das Buch aufgeschlagen und gleich einen ersten Eintrag gemacht: den Entschluss, diesem Geschenk ein Post zu widmen, um mich daran zu erinnern, wie unverzichtbar und wertvoll Ermutigung und Wertschätzung sind.

Ein aufbauendes Feedback motiviert mich und gibt mir einen Extraschub Energie, um an meinen Plänen dranzubleiben – und nichts berührt und ermutigt mich so sehr wie eine positive Reaktion aus meinem engsten Umfeld. Das heisst nicht, dass ich die Verwirklichung meiner Träume von der Meinung anderer abhängig mache. Aber mir wird mehr und mehr bewusst, wie viel eine ermutigende Geste im richtigen Moment ausmacht.

Dieses Erlebnis hat mich auch inspiriert, über meine eigene Rolle im Leben anderer nachzudenken. Bin ich mir dieser Rolle bewusst, und setze ich meinen Einfluss mit Bedacht ein? Gerade in unseren engsten Beziehungen haben Feedbacks grosse Macht: Sie können uns aufbauen, können uns aber auch am meisten verletzen, wenn sie negativ sind oder ganz ausbleiben. Ermutige ich meine Familie und meine nächsten Freunde – oder vergesse ich es, ohne zu merken, wie abwertend das wirken kann?

Bin ich mir auch darüber im klaren, was für einen Einfluss ich auf Menschen in meinem Bekanntenkreis und meiner Umgebung habe? Oder behalte ich meine Meinung für mich, weil ich nicht glaube, dass sie jemanden interessiert und weil ich mich auf keinem Gebiet als „Autorität“ sehe? Damit schätze ich meine Talente gering und verpasse die Gelegenheit, jemanden auf seinem Weg zu ermutigen.

Ich werde mir auch neu bewusst, wie aufbauend solche Feedbacks im Alltag wirken. Jeder Mensch möchte in dem, was er tut, wahrgenommen werden. Mit einem kleinen Funken der Wertschätzung kann ich genau heute dem Tag vieler Menschen einen kleinen Glanz verleihen.

Ich will meinen Einfluss auf andere nicht mehr unterschätzen und diese Verantwortung wahrnehmen. Ich will mehr ermutigen und gezielt nach Gelegenheiten suchen, wie ich anderen Wertschätzung entgegen bringen kann. Und ich will nicht vergessen, dass sich auch Menschen, die es in meinen Augen nicht mehr nötig haben, über positive Feedbacks freuen.

Das Geniale daran ist im Übrigen, dass diese Wertschätzung zurückkommt. Ich nenne das den „Kreislauf der Wertschätzung“ – im Gegensatz zum „Kreislauf des Anschreiens“ aus „How I Met Your Mother“, der leider auch funktioniert. Wenn ich andere aufbaue, färbt etwas von dieser Anerkennung auf mich ab – und sei es nur das Bewusstsein, jemandem eine Freude gemacht zu haben.

Es gibt zu diesem Phänomen einen alten, unglaublich kitschigen Spruch, der nach meinen Recherchen Goethe zugeschrieben wird. Meine Patentante hat ihn mir vor 21 Jahren ins Poesiealbum geschrieben – und heute passt er einfach. In diesem Sinne:

Willst Du glücklich sein im Leben
Trage bei zu andrer Glück
Denn die Freude, die wir geben
Kehrt ins eigne Herz zurück

Hast Du den Eindruck, dass es niemanden interessiert, was Du denkst? Glaubst Du, Dein Feedback kannst Du Dir sparen, oder weisst Du gar nicht, wen, wie und wo Du ermutigen könnest?

Unterschätze weder Deinen Einfluss noch Deine Möglichkeiten – der Alltag bietet dutzende von Gelegenheiten, andere aufzubauen. Sei es im Supermarkt, im Restaurant, in der Arbeit – sogar zu Hause am Computer (ja, genau jetzt!) kannst Du jemandem mit einem Kommentar, einem „like“ oder einer Mail eine Freude machen (zum Beispiel mir – also nichts wie ran :-)!).

Leg los, und tritt ein in den Kreislauf der Wertschätzung – Erfahrungsberichte erwünscht!

Collage SchaukelEinmal pro Quartal haben mein Mann, mein Vater und ich eine besondere Samstagsmission und fahren nach Olsberg im Aargau. Meine Schwester und ihr Mann besuchen eine Bibelschule und vertrauen uns für den Tag ihren vierköpfigen Nachwuchs an – was nebenbei von ihrem festen Vertrauen in einen treusorgenden Gott zeugt, der unsere Missgeschicke ausbügelt.

Für meinen Mann und mich, selbst kinderlos, ist der psychoklimatische Sprung aus unserer eigenbrötlerischen Zweisamkeit in das Müllersche Bienenhaus vergleichbar mit einem Transfer aus einem Waldteich ins Alpamare, und nach so einem Tag fahren wir jeweils ziemlich groggy in unser Nest zurück – aber auch voller neuer, schöner Erlebnisse. Eine der schönsten Erfahrungen des Elternseins, die ich mitnehmen darf, ist dieses Gefühl, selbst wieder Kind zu sein.

Wenn ich mit meiner Nichte und meinen Neffen spiele oder ihnen beim Plantschen und Toben zusehe, erwachen kleine Momentaufnahmen aus der Kindheit zu neuem Leben. Wie wir uns im hohen Gras Höhlen bauten, im Sandkasten Tunnel gruben, mit unseren Playmobil-Figuren spielten und mit unseren Barbies und ihren Pferden imaginäre Wettrennen veranstalteten, die immer damit endeten, dass die Barbies in weitem Bogen vom Pferd flogen. In diesen magischen Augenblicken war alles, was unser Universum sonst ausmachte – Abendessen, Hausaufgaben, Fernseher – weit weg. Wir lebten in unserer eigenen Welt, losgelöst von der Zeit und ihren Forderungen.

Ich vermisse dieses Gefühl, die Welt einfach ausblenden zu können. Obwohl ich mich in vielen Bereichen engagiere, bin ich ein sehr introvertierter Mensch, und mein Hirn produziert rund um die Uhr Monologe, macht Pläne und stellt irgendwelche Überlegungen an – ich fürchte ständig, dass ein Schaltkreis heissläuft oder eine Sicherung durchbrennt. Deshalb suche ich immer wieder Wege, wie ich diesen Schaltkreisen etwas Ruhe gönnen kann.

Dank unserer Quartalsmission habe ich letzten Samstag endlich einen solchen Weg gefunden – ein medizinisch unbedenkliches, kostenloses Mittel, das, mit der nötigen Vorsicht angewandt, keinerlei Nebenwirkungen hat. Das Wundermittel heisst ritigampfen – auf umständlich gut deutsch „schaukeln auf einer Hängeschaukel“. Ich empfehle es jedem, der mit ähnlichen Problemen kämpft – in seiner Einfachheit ist es beinahe revolutionär.

Die magische Wirkung des Ritigampfens beginnt mit einer leichten Entspannung, während Du langsam Fahrt aufnimmst. Auf einer mittleren Flugintensität beginnt Dein Hirn die begehrten Endorphine auszuschütten, und die Welt wird um ein paar Farbgrade heller. Auf Deinem Gesicht breitet sich langsam ein ziemlich grosses und ansatzweise idiotisches Grinsen aus. Dann schwingt das Ritigampfi über die Waagrechte hinaus, die Schwerkraft löst sich auf, und Du schwebst einfach in der Luft. Die Zeit steht still – bis Du mit einem Ruck in den Strom der Zeit zurückkehrst und der Erde entgegen schwingst.

Fünf Minuten Ritigampfen reichen aus, um den Entspannungsgrad einer kombinierten Therapie aus heissem Bad, kaltem Drink und einer Folge „How I Met Your Mother“ zu egalisieren. Inzwischen glaube ich, ritigampfen hat noch viel mehr zu bieten und wird in seiner Tiefenwirkung unterschätzt:

Ritigampfen wirkt deeskalierend.
Oder kannst Du Dir vorstellen, dass Du Dich mit Deinem Partner fetzt, während Ihr nebeneinander auf einem Ritigampfi sitzt und schwingt, was das Zeug hält?

Ritigampfen macht den Kopf frei.
Wenn ich fünf Minuten mit voller Kraft ritigampfe, lösen sich verklebte und verklemmte Hirnwindungen und machen Platz für neue Ideen.

Ritigampfen wirkt verjüngend.
Eine gute Dosis Ritigampfen versetzt mich in meine Jugend zurück und mildert die Fältchen der Seele, und was sich in unserem Inneren abspielt, wird früher oder später auch an der Oberfläche sichtbar.

Ich glaube, diese Erkenntnisse sollten zum Nutzen der Menschheit verbreitet werden. Deshalb setze ich mich ab sofort für Ritigampfräume bei Psychologen, in Firmen und in Schönheitsstudios ein. Vor allem aber gehe ich sofort in den Keller und hole das Ritigampfi, das wir vor zwei Jahren gekauft haben, hänge es an unsere Wäschestange und lege los. Wetten, dass ich in zwei Wochen entspannter und kreativer bin und viel besser aussehe?

Ich glaube, die Welt wäre ein besserer Ort,
wenn mehr geritigampft würde.

Oder frei nach Mani Matters „Hansjakobli und Babettli“:

„Jetz tüet doch aui nid so chrampfe,
Dir würdet gschider ritigampfe!“

P.S.: Das Copyright für die Ritigampf-Therapie ist angemeldet.