Rom 2015Letzte Woche war ich auf Italienreise: nach Stationen in Florenz und Rom nahm ich am Women’s Fiction Festival in Matera teil und fuhr dann nach Bari, worauf auch schon die Rückreise nahte.

Mein Flug ging um halb acht mit Swiss ab Bari nach Zürich. Nach der Italia-mäßig chaotischen Check-in-Phase, bei der die lange Schlange pflichtgetreuer Schweizer im letzten Moment noch an einen anderen Schalter umgeleitet wurde, fuhr uns ein Bus zu unserer Maschine. Ich suchte meinem Platz und stellte kurz darauf erfreut fest, dass der Sitz neben meinem frei blieb und ich ans Fenster rücken konnte. Dann kam auch schon der Abflug. Das Flugzeug beschleunigte und hob in den schwarzen Nachthimmel ab, und wie immer auf den ersten Minuten eines Fluges fühlte ich mich seltsam verletzlich.

Wie sicher war ich in dieser kleinen Blase funktionierenden Lebens? Nur ein paar Zentimeter Metall und zwei funktionierende Triebwerke lagen zwischen mir und der schwarzen Nacht. Das Leben war in der Tat eine rasch verdorrte Blume, ein abgeschnittenes Gras – zart und zerbrechlich.

Nach kurzer Zeit waren wir auf Flughöhe. Das Flugzeug glitt gleichmäßig durch die Nacht, Dunkelheit hinter der runden Luke, in der Kabine Ruhe. Ich entspannte mich etwas und dachte an meinen ersten Flug mit Swiss, der mein erster Flug überhaupt gewesen war. Er fand kurz vor meinem 30. Geburtstag statt und führte mich nach New York. Als die Stadt in Sicht kam und die Türme Manhattans in der Sonne blitzten, stieg mir ein Kloß im Hals hoch; das gewaltige, ungewohnte Bild trieb mir Tränen in die Augen.

In Gedanken bei diesem wunderbaren Moment, erinnerte ich mich plötzlich an ein Foto aus der Woche in New York. Es war an einem Ort aufgenommen worden, der zehn Monate später nur noch aus Rauch und Trümmern bestand: im Aussichtsrestaurant des World Trade Centers.

Da war sie wieder, die Zerbrechlichkeit meines Lebens. Und nach den wunderbaren Tagen in Matera stand sie in einem  schmerzlichen, spannungsgeladenen Gegensatz zu meinem wachsenden Drang, die Bücher zu schreiben, für die – wie ich glaubte – Gott den inspirativen, kreativen Funken geliefert hatte. Die Bücher, die nur ich schreiben konnte.

Was, wenn dieser Flug sein Ziel nicht erreichte? Wenn die Bücher, von denen ich überzeugt war, dass ich sie schreiben sollte, nicht geschrieben würden? Was sagte es über Gott aus, wenn er mir Ideen schenkte, die auch andere Menschen berühren und ermutigen sollten, und dann vielleicht zuließ, dass mein Leben hier und heute endete?

Ich wusste sehr wohl, dass die Welt nicht untergehen würde, wenn ich meine Bücher nicht schrieb. Dennoch brachte mich der Gedanke an den Punkt, der alle, die an einen souveränen Gott glauben, immer wieder aufs Neue herausfordert.

Warum müssen Menschen in der Blüte ihrer Jahre oder noch früher sterben, manche auf sinnlose, manche auf unerträglich qualvolle Weise? Wo bleibt die Gerechtigkeit? Wo bleibt sie nach der 45. verheerenden Schießerei in Amerika in Oregon, wo bleibt sie, wenn Menschen krank werden und wir nur hilflos zusehen können?

Am Ende bleibt mir auch jetzt, wenn ich an diesen Moment zurückdenke, nur das Wissen, dass ich keine Antwort habe, die mich oder andere zufriedenstellen kann. Mir bleibt der Glaube daran, dass Gott trotz allem mein Leben und das aller Menschen in der Hand hat und dass am Ende, wie Jesus es verheißen hat, in seiner ewigen Gegenwart alle satt werden, die hungern und dürsten nach dieser Gerechtigkeit.

Bis es soweit ist, stehe ich in der Spannung und im Schmerz, dass Gottes Reich schon da, aber noch nicht ganz da ist. Dass es immer wieder durchbricht in gelebter Nächstenliebe, Wundern und Heilungen, dass aber Hass, Krieg, Elend und Krankheit noch Teil dieser Welt sind. Dass es sinnlosen Tod gibt, auf den niemand eine Antwort hat. Dass daneben Leben gerettet wird. Hell und Dunkel, Leben und Tod, Liebe und Hass – sie sind alle noch hier. Aber am Ende sind Glaube, Liebe, Hoffnung, und die Liebe ist die größte unter ihnen. Und für diese Zwischenzeit hier und jetzt weiß ich, dass Gott auch da ist, wo wir leiden, im bittersten Schmerz, in der größten Verzweiflung, und dass es bei ihm immer weiter geht.

london-810750_1280Der Flug ging seinem Ende zu, und ich sah aus dem Fenster auf die majestätischen, geheimnisvoll leuchtenden orangen Linien, die unsere Städte und Dörfer verbanden.

Die Landung nahte und damit die Phase, in der mir meistens wieder etwas anders wird. Ich merkte auch dieses Mal, wie schwer es mir fiel, diesen Moment Gott anzuvertrauen und nicht bei jedem Wackeln Stoßgebete abzusetzen.

Und doch hielt ich mich damals und halte ich mich jetzt wieder an dem einen Gedanken fest: Wo auch immer ich hinfalle – heute, morgen, irgendwann – ich falle nicht tiefer als in seine Hand.